Capriccio
für Bassklarinette, Viola und Klavier
UA 01.12.2022, KunstRaum Niculescu (Berlin)
Capriccio ist ein energiegeladenes Stück, das die ästhetischen Grenzen einer Neue-Musik-Komposition überschreitet und doch klar in der kammermusikalischen Konzerttradition verwurzelt ist.
Auf der Suche nach einem Ansatz, der die Spontaneität und den interpretatorischen Individualismus der grafischen Notation mit einer sich stringent entwickelnden musikalischen Form in Einklang brächte, kam ich zur Lösung, den Rhythmus als einzigen musikalischen Parameter exakt zu notieren, wogegen andere Parameter (vor allem Tonhöhe, Dynamik und Spieltechnik) mit mehr oder weniger großer Unschärfe notiert wurden.
Dies resultierte in einer Art hybriden Partitur: Ein Gitternetz verdeutlicht das metrische Raster, welches in traditioneller Art und Weise von links nach rechts und oben nach unten gelesen wird und über das ganze Stück hinweg unverändert bleibt. In diesem Raster sind grafische Symbole platziert, die einzelne, überwiegend kurze Klangaktionen repräsentieren. Die Position, Größe und Form der Symbole geben bis zu einem gewissen Grad Aufschluss über Tonhöhe, Dynamik und Spieltechnik der Klangaktionen, lassen aber viel Raum und Notwendigkeit für die (spontane) Entscheidung des*der Interpreten*in.
Dem Kompositionsprozess voraus ging eine intensive Beschäftigung mit der Electronic Dance Music (EDM), wo ich vor allem im Hinblick auf zwei Aspekte fündig wurde, welche (in abstrahierter Form) die Grundlage meiner Komposition bilden sollten: Erstens das Prinzip der blockhaften formalen Entwicklung, die in Stücken der EDM typischerweise additiv in acht-taktigen Blöcken fortschreitet. Grundbaustein meiner Komposition ist ein viertaktiges Pattern – bestehend aus drei 4/4-Takten und einem 7/8-Takt, wodurch sich ein holpernder, vorwärtsdrängender Charakter ergibt, der der vorhersehbaren Geradlinigkeit des EDM-typischen Pulses klar entgegensteht. Auf dieses viertaktige Pattern wende ich (wiederum in abstrahierter Form) Strategien der samplebasierten Musik an: das Pattern wird in seiner Länge editiert (verkürzt), es kommen Frequenzfilter (high-pass EQ) zum Einsatz und es wird schrittweise von anderen Pattern überlagert.
Der zweite Aspekt betrifft die Struktur des Patterns selbst. Wichtig war mir hier die komplexe rhythmische Verzahnung mehrerer Vordergrund- und Hintergrundebenen, um innerhalb des starren Rasters eine möglichst große Plastizität und Variabilität zu erreichen. Diese Komplexität wird durch die grafische Notation weiter vergrößert, da sie die individuelle, sich von Takt zu Takt und von Aufführung zu Aufführung unterscheidende Interpretation der Zeichen durch die Spieler*innen als aleatorisches Element in die Struktur wesentlich einbezieht.
Andere Besetzungen als die in der Partitur angegebene wären prinzipiell möglich, jedoch ist hier unbedingt auf einen ausgewogenen Gesamtklang und eine adäquate Differenziertheit bei der Interpretation der grafischen Symbole zu achten.
Capriccio