Filterskizzen

für präpariertes Klavier solo
UA 19.09.2019, ausland, Berlin

Die Filterskizzen sind ein Zyklus von fünf Stücken für präpariertes Klavier, die in den Jahren 2019 und 2022 entstanden. Jede der fünf Filterskizzen spannt ihren eigenen klanglichen Mikrokosmos auf. Wie in der Fotografie ein Schwarz-Weiß-Filter oder ein Weichzeichner die gesamte visuelle Qualität eines Bildes beeinflusst oder sich in der Tontechnik durch das Filtern eines Audiosignals mithilfe eines Equalizers dessen klangliche Eigenschaften insgesamt verändern lassen, so wirken auch die Präparationen des Klaviers wie ein globaler Filter. Die Integrität des Instruments wird dekonstruiert, seine Sonorität verzerrt und verschiedene Einzelaspekte werden in ihrer Wichtigkeit und Expressivität stark vergrößert.
Einige fordern vom Interpreten eine im klassischen Sinne virtuose Beherrschung der Klaviatur, andere dagegen machen das Erlernen gänzlich neuer Spieltechniken nötig. Zusammen bilden sie einen Zyklus von in ihrer Klanglichkeit und Expressivität gänzlich verschiedenen Stücken, die dennoch aufeinander bezogen einen dramaturgischen Bogen schaffen.
Mein größter Dank geht an Alba Gentili-Tedeschi, die als hervorragende und sowohl im klassischen als auch im zeitgenössischen Repertoire äußerst versierte Pianistin den Kompositionsprozess ermöglicht und begleitet hat.

 

Filterskizze I

Ausgangspunkt war die Forschung an den Flageolettönen, die durch Abgreifen der entsprechenden Schwingungsknotenpunkte auf den tiefen Saiten des Flügels erzeugt werden können. Seit langer Zeit im zeitgenössischen Klavierrepertoire etabliert blieben zwei Aspekte bisher für mich stets unbefriedigend: erstens die Schwierigkeit für den Spieler, die richtige Stelle auf der Saite zuverlässig und schnell zu finden, und zweitens – damit in Zusammenhang stehend – die Unmöglichkeit, schnelle oder komplexere musikalische Phrasen ausschließlich mit Flageoletts zu spielen.
Nach längerem Experimentieren entwickelte ich daher die von mir sogenannten Flageolettbalken. Dies sind dünne Holzbalken, die unten mit Klebegummi beschichtet sind und so auf den Saiten haften, dass diese bei normalem Anschlag auf der Klaviatur zuverlässig den gewünschten Flageolett produzieren. Das klangliche Resultat ist nicht exakt dasselbe wie bei den von Hand gegriffenen Flageoletts, sondern sie klingen etwas gedämpfter, trockener, perkussiver. Aus eben dieser Charakteristik leitete ich die Grundidee der Filterskizze I ab, die im Wesentlichen mit der Entwicklung repetitiver rhythmischer Zellen spielt.
Die Balken werden so angeordnet, dass die resultierenden Flageolettöne (als Quint-, Terz- bzw. Septflageoletts) fast alle im Bereich einer Quarte zwischen gis und cis‘ liegen. Zudem werden die Saiten im Mittelregister abgedämpft, sodass in diesem engen Tonraum jeder Ton viermal in unterschiedlicher Klangfarbe und mikrotonaler Stimmung vorhanden ist. Die Komposition tastet diesen Tonraum nach und nach mit steigender Komplexität und Intensität ab.

 

Filterskizze II

Vor über zehn Jahren machte mich ein befreundeter Schlagzeugkollege auf die Möglichkeit aufmerksam kleine Vibratoren, wie sie aus dem Erotikbereich bekannt sind, als Klangerzeuger für Schlagzeugbecken zu benutzen. Die Übertragung auf das Innenklavier lag nahe, nur mussten zunächst eine Reihe spieltechnischer Probleme gelöst werden, um eine ausreichende Kontrolle über die Vibratoren zu erhalten und eine Beschädigung des Instruments zu vermeiden. Die Lösung fand ich in selbstgebauten Schalen, die aus einem Gummiring mit einem Boden aus verschiedenen dünnen Materialien bestehen.
Die Schalen erlauben es, beliebig viele (in der Praxis verwende ich bis zu sechs) Vibratoren im Klavier zu platzieren, wobei die Vibratoren auf einen näherungsweise bestimmten Intervallbereich festgelegt werden, in welchem sie sich frei – und somit einigermaßen unvorhersehbar – bewegen können.
Aufgrund der den Vibratoren inhärenten Indetermination, welche neben dem faszinierenden klanglichen Potential den Reiz ausmacht, habe ich für dieses Stück eine überwiegend grafische Notationsform gewählt, die die Positionen und Bewegungen der Vibratoren im Klavier veranschaulicht.

 

Filterskizze III

Das Zupfen der Saiten mit dem Fingernagel oder einem Gitarrenplektrum ist eine weitere klassische Spieltechnik des zeitgenössischen Klaviers. Mein Ziel war es die klanglichen Möglichkeiten dieser Technik so weit wie möglich auszuloten und eine sehr stark ausdifferenzierte Klangwelt innerhalb dieser strengen Restriktion zu schaffen.
Global gesehen bewegt sich die Musik in einer langen Bewegung vom höchsten bis ins tiefste Register des Klaviers, wobei verschiedenste Verwendungen des Plektrums zum Tragen kommen: Stets präsent ist das Zupfen der Saiten hinter bzw. vor den Dämpfern (letzteres resultiert in einem metallischeren, grundtonärmeren Klang), welches in den ersten Abschnitten durch ein Tappen ersetzt werden kann.
Hinzu treten Glissandi in allen Registern und Dynamiken – in der Mittellage in Kombination mit dem stummen Abgreifen von Akkorden auf der Tastatur, wodurch diese Akkorde quasi als Nachklang aus einem eher trockenen Glissando hervorgehen. Glissandi kommen werden auch hinter den Saitenhaltern eingesetzt, wo sie einen irrationalen, flirrenden Klang ergeben.
Eine gänzlich neu entwickelte Spieltechnik ist die langsame Bewegung des Plektrums mit hohem Druck auf einer tiefen Basssaite, wodurch das Plektrum von Rille zu Rille der Ummantelung springt und einen perforierten, aggressiven Klang erzeugt.

 

Filterskizze IV

Inspiriert ist die Filterskizze IV von Alvin Luciers „Music for piano with magnetic strings“ aus dem Jahr 1995. Luciers Partitur besteht aus einer knappen Seite Text, auf welcher er dem Spieler die Anweisung gibt, vier bis fünf E-Bows auf den Saiten des Klaviers zu platzieren und nach und nach zu bewegen. Weitere Informationen zur Dauer oder den Klängen finden sich nicht. So wuchs in mir der Wunsch ein Stück für E-Bows zu komponieren, in welchem die Klänge und ihre Abfolge tatsächlich komponiert sind, gepaart mit der Suche nach dem größtmöglichen Klang. Da die E-Bows nur im Mittelregister des Klaviers aufgesetzt werden können und stets drei Saiten benötigen, von denen jedoch nur die mittlere einen Ton erzeugt, bedarf es Einiges an Planung und Berechnung, um mehr als fünf E-Bows sinnvoll zu platzieren und mobil zu machen. Die acht E-Bows, die in der Filterskizze IV, Verwendung finden, stellen meiner Ansicht nach eine Höchstzahl des Möglichen dar.
Ausgehend von einem Ton, zu welchem zunächst der Quintton dazu tritt, baut sich eine Art Obertonspektrum auf, das natürlich aufgrund der temperierten Stimmung nicht schwebungsfrei ist, sondern im Gegenteil äußerst interessante und willkommene Pulsationen enthält. Ist das volle achttönige Spektrum aufgebaut, wird dieses so umgeformt, dass ein neuer, durch Transposition einer dreitönigen Zelle um eine Mittelachse herum konstruierter Akkord entsteht. Dieser neue Akkord baut sich in einer dem Anfang entgegengesetzten Bewegung ab, bis wiederum eine reine Quinte (nun allerdings gegenüber dem Anfang eine Terz höher) übrigbleibt und verklingt.

 

Filterskizze V

Filterskizze V weist von allen Stücken des Zyklus‘ sicherlich das traditionellste Notenbild auf und in der Tat könnte es zu weiten Teilen ohne Präparationen gespielt werden. Vorgesehen ist jedoch die Präparationen der Saiten mit kleinen Magnetwürfeln, die im Mittelregister auf zwei der drei Saiten, die mit einem Hammer angeschlagen werden, aufgesetzt werden. Die präparierten Saiten sind leicht mikrotonal verstimmt und haben einen metallischeren Charakter, wogegen die unpräparierte Saite ihre ursprüngliche Stimmung und Klangfarbe beibehält.
Aus dieser Mischung resultiert ein stark veränderter Gesamtklang, der an traditionelle Zitherinstrumente erinnert aber weiterhin eine sehr differenzierte harmonisch-melodische Behandlung des Instruments erlaubt. Die relativ komplexe musikalische Struktur ist aus dieser Klangcharakteristik abgeleitet und spielt vor allem mit der variablen Dichte und Beweglichkeit des polyphonen bzw. homophonen Satzes.
Im Bassregister werden größere Magnetwürfel auf Schwingungsknotenpunkte von Flageoletts aufgesetzt und erzeugen so einen komplexen, stark mikrotonalen Klang.

 

 

Filterskizzen1
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Dauer:
30 Minuten
Notenausgabe:
Universal Edition