Sonic Essence

La musica non può esistere senza il suono. Il suono esiste di per sé senza la musica. È il suono ciò che conta.

 – Giacinto Scelsi

 (Die Musik kann nicht ohne den Klang existieren. Der Klang existiert für sich ohne die Musik. Der Klang ist das, was zählt.)

 

„So offenbart der Klang der starren Körper das denselben ingeborne Übersinnliche und Geistige“

 – G.M. Klein, „Die Verstandeslehre“, 1810

Mich faszinierte von je her das Nicht-Körperliche des Klanges, die Kraft, die die Musik entfaltet, nicht trotz, sondern aufgrund dessen, dass sie nicht sichtbar, nicht greifbar und nur schwer verortbar ist. Sie schafft ihre eigene Räumlichkeit, ihre eigene physische Präsenz, die durchaus in der Lage ist, alles andere in ihren Schatten zu stellen und zu verformen.
Am offensichtlichsten wurde mir das Phänomen zunächst in der Oper, die in ihrer Verbindung von Musik und Theater als Gesamtkunstwerk voll von sinnlichen Reizen ist und mit Sprache, Tanz, Bühnenbild, Beleuchtung und Kostümen alle Kanäle unserer Wahrnehmung anspricht. Doch das alles Dominierende bleibt stets die Musik, nur sie hat die psychische Kraft tatsächlich zum Wesen der Dinge vorzudringen, sie umhüllt alle anderen Sinneseindrücke, legt das ästhetische Fundament, existiert ohne die Notwendigkeit einer Begründung außerhalb von Erzählung, Szene und Bühnenraum und führt uns zu den letzten Fragen, die uns lang nach dem Ende der Aufführung noch begleiten.
Das Nicht-Körperliche des Klanges hat die Kraft, eine eigene Welt zu erschaffen, die – sei sie auch in der unsrigen verwurzelt – eigenen Gesetzen gehorcht und als selbstständiges Universum zu existieren vermag. In diese Welt begab ich mich (floh ich) gern und immer häufiger und vollständiger und so war es nur eine Frage der Zeit, dass ich begann, dieses Nicht-Körperliche gerade am Körperlichsten und Profansten, an den Gegenständen um mich herum zu suchen. Meine Neigung, die Welt hörend begreifen zu wollen, fand hier ihren Ausdruck in dem Maße, in dem mich die Frage beschäftigte, welche Welt sich eröffnet, wenn wir ganz unvertraute Klänge vertrauter Gegenstände entdecken.

Den ersten Anstoß gab mir die Arbeit an der Bühnenmusik zu einer Tanzperformance mit dem Titel The Wood Project (2011), das auf die die traumatische Erfahrung des Choreografen Felix Bürkle zurückging, große Teile des Waldes seiner Heimat durch einen gewaltigen Sturm zerstört zu sehen. Ich stellte es mir zur Aufgabe, für die Musik zum großen Teil mit Klängen zu arbeiten, die ich aus dem Holz aus eben diesem Waldstück im Schwarzwald gewann. So begann ich Klangbibliotheken zu erstellen, für die ich eine Vielzahl verschiedenartiger Tonaufnahmen machte, die sich zwischen Field-Recordings und Objektmanipulationen bewegten: Das Knacken des Gehölzes auf dem Waldboden, wenn ich darüber lief; das Reiben von Tannenzapfen an einer Baumrinde; das Brechen von Stöcken verschiedener Dicke; das kreisförmige Wischen von bereits geschnittenen Holzscheiben auf Brettern verschiedener Holzarten und sogar das Schneiden von Baumstämmen mit einer Kreissäge, wobei letzteres aus dem konzeptionellen Kontinuum ausbrach, da hier vor allem das Motorengeräusch der Kreissäge zu hören war. Dementsprechend bekam der Klang später eine besondere Funktion in der Dramaturgie der Komposition zugewiesen.
Die Objektklänge machte ich mir durch zwei verschiedene Strategien für den musikalischen Kontext nutzbar – erstens fertigte ich einige durchkomponierte Stücke am Computer an, die als elektro-akustische Einspielungen zum Einsatz kamen, und zweitens organisierte ich die Klänge in einer Samplebibliothek, auf die ich während der Performance improvisatorisch zugreifen konnte.
Dem gegenüber standen die Klarinette, die Bassklarinette und das Marimbaphon als „traditionelle“ Instrumente mit starker Holzcharakteristik. Auch diese kamen sowohl in Form von zuvor aufgenommenen Einspielungen als auch improvisatorisch auf der Bühne gespielt zum Einsatz. Es entstand so ein enges Geflecht aus Objekt- und Instrumentalklängen, Improvisationen und bereits (als Tonaufnahme) Fixiertem, was in der Folgezeit die konzeptionelle Grundlage für meine weitere Forschung darstellen sollte.
Im nächsten Schritt schickte ich mich an, meine Klangbibliotheken zu erweitern und vergrößern, vor allem indem ich das Potential von Gegenständen meiner nächsten Umgebung untersuchte. Fündig wurde ich unter anderem in meiner Küche, die mir eine Reihe von interessanten Glas- und Geschirrklänge (auf einer Tischplatte ruckartig bewegte Teller, mit einer Gabel traktierte Siebe, Reiben und Schneebesen, mit einem Löffel angeschlagene Servierplatten), offenbarte, auch das Knarren und Knarzen meines alten Dielenbodens fand Verwendung und ebenso das kreisförmige Wischen mit verschiedenen Gegenständen (Stiften, Papier etc.) an der verputzten Zimmerwand. Diese feinen, zunächst ganz unscheinbar daherkommenden Klänge entwickelten ein kraftvolles Eigenleben, waren sie erst einmal aus ihrem Ursprungszusammenhang herausgelöst und als souveräne Klangobjekte zur Geltung gebracht.
Es stellte sich für mich dabei immer wieder die grundsätzliche Frage, auf welchem Wege ich den Objekten die Klänge entlockte. In den meisten Fällen gelang dies über die wie auch immer geartete Traktion der Objektoberfläche, die mich darüber hinaus mit der Notwendigkeit konfrontierte, die Traktion rhythmisch und dynamisch zu gestalten und so dem Objektklang bereits eine musikalische Dimension zu verleihen. Die so entstehenden Klänge mikrofonierte ich stets aus möglichst nächster Nähe, sodass das Mikrofon zu einer Art hypersensiblen Ohr wurde, das in der Lage war feinste Nuancen aufzunehmen. In der Folge verzichtete ich auf jegliche elektronische Bearbeitung der Klänge und erlaubte mir ausschließlich die Balancierung der Lautstärke und die präzise Bestimmung der Dauer des Gehörten, sodass der Computer lediglich die Funktion eines Speichermediums, einer Bibliothek, bzw. einer Plattform für die Anordnung (Komposition) und Wiedergabe der Klänge erfüllte.
Zuweilen verwendete ich andere Arten der Klangerzeugung, so beispielsweise das Blasen auf Glas- und Plastikflaschen verschiedener Größe, die ich mit einer stets gleichbleibenden Menge von Wasser schrittweise anfüllte, wodurch sich eine vollkommen unvorhersehbare, mikrotonale Stufung der geblasenen Tonhöhen ergab und in einer Klangbibliothek mit etwa 40 Flaschentonsamples mündete, die mir wie die Töne einer elektrischen Orgel zur Verfügung standen und sich zu einer ätherisch-wabernden, luftigen Klangfläche verbanden.
Des weiteren experimentierte ich mit Wasserklängen, die in meiner Wohnung herstellbar waren und die meist zu einer anderen Kategorie der Klangerzeugung gehörten, nämlich zu den Klängen von Objekten, die in irgendeiner Form aktiviert werden und dann (für eine gewisse Zeit) von selbst klingen: Das Tropfen des Wasserhahns, das Gluckern des Wassers im Ausguss, das Rauschen in der Dusche, das Betätigen der Toilettenspülung, das Plätschern des Wasserfilters. Dabei begegnete mir eine weitere grundsätzliche Fragestellung in der Arbeit mit den Klängen alltäglicher Gegenstände. Häufig nämlich ließen sich die Klänge ihrer Ursache, also dem Vorgang und dem Objekt, die sie hervorbrachten, beim bloßen Hören sehr eindeutig zuordnen, sodass beim Hörer vollkommen klare, unzweideutige Assoziationen entstanden, die meines Empfindens nach das ästhetische Potential meines Ansatzes unangenehm einschränkten. Das Nicht-Körperliche, nach dem ich suchte, ging durch das spontane und irreversible Verknüpfen des Gehörten mit der Erinnerung an die visuelle, taktile oder sonstige Wahrnehmung des jeweiligen Gegenstandes verloren, was eine immense Einengung der Deutungsmöglichkeiten des puren Klanges zur Folge hatte, welcher sich dadurch dem musikalischen Diskurs verschloss und kompositorisch unbrauchbar wurde. Ich suchte nach einer reinen Akusmatik in dem Sinne, wie sie Pierre Schaeffer 1966 in seinem Treatise on Musical Objects herausgearbeitet hatte:

 

 

„This term [acousmatic], in fact, emphasizes the perceptual reality of sound, as such, by distinguishing it from its methods of production and transmission. […] The concealment of causes is not the result of technical imperfection, nor is it an occasional variation: it becomes a prerequisite, a deliberate conditioning of the individual. Now the question: „What can I hear? … What exactly can you hear?“ is turned back on him in the sense that he is being asked to describe not the external references of the sound he perceives but his perception of itself.“

 

Dieses Problem umging ich zunächst dadurch, dass ich eine Reihe von Klängen, die zu eindeutig ihre Ursache offenbarten, nicht verwendete, darunter fast alle Wasserklänge. Ein weiteres Nachdenken über diese Problematik sparte ich mir für einen späteren Zeitpunkt auf.
Meine beiden prinzipiell unterschiedlichen Strategien – das Improvisieren mit den Klangsamples bzw. das Anfertigen durchkomponierter elektroakustischer Werke – trennte ich nun vollständig von einander, um jeder der beiden so detailliert wie möglich auf den Grund gehen zu können, woraus zwei stark verschiedene Arbeiten resultierten.

Erstens spielte ich in den Jahren 2012/13 einige improvisierte Konzerte im Duo mit dem Perkussionisten Hannes Lingens, wofür ich meine Klangbibliothek um eine Reihe von Samples präparierter Perkussionsinstrumente erweiterte, um eine möglichst große klangliche Verschmelzung des Instrumentariums erreichen zu können. In der Konzertsituation steuerte ich die Klänge über mehrere verschiedenartige MIDI-Controller direkt an und konnte so eine recht hohe improvisatorische Agilität erlangen. In den Konzerten kreierten wir langsam changierende, fast meditative Klangbänder, die gelegentlich von rhythmisch-punktuelleren Texturen unterbrochen wurden. Unser Augenmerk richtete sich dabei auf eine sehr direkte improvisatorische Kommunikation, die die mechanisch erzeugten Perkussionsklänge und die über Lautsprecher wiedergegebenen Klangsamples zusammenführte und in einen steten Austausch brachte.

Zweitens realisierte ich 2014 zusammen mit der Fotografin Elma Riza die interdisziplinäre Komposition paysages façonnés, bei der es unser Ziel war, meinen musikalischen Ansatz auf die Fotografie zu übertragen. Es entstand so ein etwa 17-minütiger Film, der eine rein akusmatische Komposition mit Detailfotografien alltäglicher Objekte in Verbindung brachte, die aufgrund der starken Vergrößerung und der gewählten Ausschnitte einen hohen Abstraktionsgrad aufwiesen. Gemeinsam entwickelten wir einen formalen Verlauf, der im Überwiegenden auf der sukzessiven Exposition und Entwicklung von Klängen bzw. Bildern verschiedener Herkunft und Charakteristik beruhte, wobei Bild und Ton diesem grundlegenden Verlauf folgten, ohne sich je zu doppeln oder zu illustrieren.



Nachdem ich in paysages façonnés  mein Ziel einer Musik mit ausschließlich nicht-körperlichen Objektklängen erreicht hatte, schien es mir notwendig in einer dialektischen Bewegung wieder konkrete Klangerzeuger in die Bühnenaufführung zu integrieren.
Den ersten Schritt dafür tat ich mit der Quintett-Komposition Schall und Rauch (Version Umlaut), die im Januar 2018 in Paris von einem Ensemble bestehend aus deutschen und französischen Musikern uraufgeführt wurde. Die Besetzung bestand aus Klarinette, Altsaxophon, Kontrabass und Perkussion/Akkordeon, ich selbst steuerte wieder die Samples mithilfe eines MIDI-Keyboards. Ausgehend von meinem bisherigen Ansatz, Alltagsklänge aus Objekten meiner nächsten Umgebung zu gewinnen, bat ich zu Beginn des Kompositionsprozesses die beteiligten Musiker, Gegenstände in ihrem jeweils eigenen Umfeld auf deren Klangeigenschaften hin zu untersuchen und mir entsprechende Audio-Aufnahmen zu schicken. In einem weiteren Schritt lies ich die Musiker die Objektklänge mit ihren Instrumenten imitieren und mir von diesen neu gefundenen Instrumentalklängen wiederum Aufnahmen und Beschreibungen der verwendeten Techniken bzw. Präparationen schicken.
Interessanterweise schickten mir zwei der vier Musiker Klänge von Wasser- bzw. Espressokochern, mit denen ich selbst unabhängig davon in meiner Vorbereitung auch experimentiert hatte. Also lag es nah, dem Wasser in diesem Stück einen größeren Raum einzuräumen, was mir besonders auch aufgrund der früheren Schwierigkeiten, die ich mit Wasserklängen gehabt hatte, reizvoll schien. Ich begann daraufhin erneut mit Wasser zu experimentieren und wurde einerseits fündig bei kochendem Wasser, das abhängig von der Größe und Befüllung des Topfes, in dem es kochte, ein unterschiedlich intensives und schattiertes Rauschen ergab. Andererseits entdeckte ich, dass ich mit Wasser gefüllten Glas- oder Metallschüsseln, deren Seiten in Schwingung versetzt wurden, wenn ich mit einem Strohhalm Luft ins Wasser blies, durch Kondensator- und Kontaktmikrophone doppelt mikrofonieren konnte, sodass ich bei der Klangselektion im Nachhinein das Mischungsverhältnis zwischen blubberndem Wassergeräusch, das über die Kondensatoren aufgenommen wurde, und der tremolierenden Schüsselresonanz, die die Kontaktmikrophonen abnahmen, flexibel und sehr genau bestimmen konnte. Auf der Bühne wurden diese Klänge ergänzt von einem Wasserkocher, der den letzten Teil des Stückes prägte, in welchem zudem eine spezielle Technik des Pariser Klarinettisten Joris Rühl zum Einsatz kam, bei welcher er den Schallbecher der Klarinette in eine Wasserschüssel hielt und so eine unstetige, organisch-oszillierende Verzerrung des Klarinettenklanges bewirkte.
Die innere Beweglichkeit der Wasserklänge in Verbindung mit einigen experimentellen Perkussionsklänge (z.B. dem Rotieren von Murmeln am Rand der kleinen Trommel) veranlasste mich dazu, an weiteren Rotationsklängen zu forschen. Ich verwendete dafür verschiedene Holzscheiben, die ich wie Münzen auf einer angerauten, dünnen Kunststoffplatte rotieren ließ, wobei ich die Platte von unten mikrofonierte, um möglichst viel der Plattenresonanz aufzunehmen. Im Ergebnis erhielt ich eine Reihe interessanter, maschinenhafter Rotationsklänge, die sich in Geschwindigkeit und Timbre unterschieden.
In das Klanguniversum des Stückes flossen außerdem noch einige weitere Klänge ein, die mir die beteiligten Musiker geschickt hatten (beispielsweise das Rascheln einer Wäschekugel oder das Rattern und Brummen eines Stromzählers ) und die mit den jeweils dazugehörigen Instrumentalklängen strukturelle Beziehungen aufbauten.
Nach Abschluss der Komposition kam in mir das Bedürfnis auf, einige der neu gefundenen Klangqualitäten und kompositorischen Beziehungen weiter auszuarbeiten und zu konkretisieren. Aus diesem Grunde schrieb ich ein weiteres Stück mit dem Titel Schall und Rauch (nun Version Transmitter) für Bassklarinette / Demi-Clarinet, Viola, Klavier, Samples und Wasserkocher, das im März 2019 vom Trio Transmitter mit Benedikt Bindewald (Viola), Alba Gentili-Tedeschi (Klavier) und meiner selbst an der Bassklarinette uraufgeführt wurde.



Das Werk fokussierte sich allein auf die Wasserklänge, rückte den Wasserkocher sowohl als Bühnenobjekt als auch als dramaturgischen Wendepunkt ins Zentrum und leitete überhaupt alle instrumentalen Klangstrukturen aus den Wasserklängen und alle formalen Prozesse aus der zyklischen Veränderung der Aggregatzustände ab. Es entstand so ein minutiös durchgeplantes Spiel verschiedener Klangqualitäten und -erzeugungsarten miteinander, die auf einander verwiesen und Vorwegnahmen bzw. Reminiszenzen herstellten.
Dabei unterschied ich prinzipiell drei Ebenen: Erstens die akusmatische Ebene, auf der die Wasserklänge von ihrer Erzeugungsart losgelöst als musikalisches Material behandelt wurden und ihren Ursprung dem Zuhörer (zunächst) nicht preisgaben. Zweitens die Verwendung von Wasserobjekten als Klangerzeuger auf der Bühne, die den Ursprung der Klänge dezidiert aufzeigten und entsprechend inszeniert waren, womit sie (nachträglich) den vorausgegangenen akusmatischen Klängen eine fiktive Körperlichkeit verliehen. Drittens die Instrumentalklänge, die häufig klangliche Verwandtschaften mit den Wasserklängen aufwiesen oder in struktureller Analogie zu ihnen gestaltet waren.
Durch vielfache Präparationen der Instrumente erreichte ich eine Annäherung an die geräuschhafte Klangsphäre, wobei die Instrumente dadurch selbst quasi zu vorgefundenen Objekten wurden, deren Eigenschaften als Klangerzeuger bis zu einem gewissen Grade unabhängig von tradierten Klangidealen oder Spieltechniken neu entdeckt werden konnten. So präparierte ich das Klavier beispielsweise mit kleinen Magnetwürfeln, die im mittleren Register auf zwei der drei Saiten, die von jedem Hammer angeschlagen werden, platziert wurden, was einen mikrotonal verstimmten, sphärisch-fluktuierenden, metallischen Klang ergab. Diesen setzte ich in Beziehung zur Resonanz der Wasserschalen, die ich bereits in der Pariser Version von Schall und Rauch verwendet hatte. Nun spielten allerdings die Musiker auf der Bühne zwei mit Kontaktmikrofonen bestückte Schalen, die in klar definierten Tonhöhen gestimmt waren und so in ihrer Funktion als Zentraltöne in die Harmonik des das Werk beschließenden Klaviersolos eingriffen. Die Resonanzklänge waren als akusmatische Klänge auch für den Beginn des Stückes wichtig, für welchen ich eine Vielzahl temperiert gestimmter Schalen aufgenommen hatte und somit harmonisch sehr definiert und in Kontinuität zu den alternierenden Instrumentalteilen arbeiten konnte. Eine fruchtbare Entdeckung war dabei, dass die größeren Schalen nicht nur einen Resonanzton aufwiesen, sondern im Intervall einer Dezime klangen. Dies ließ sich vortrefflich mit einer Instrumentalstruktur in Verbindung bringen, die den tremolierenden Gestus des Wasserblubberns aufnahm und im wesentlichen aus Terzflageolett-Trillern der Viola (mit Dezimresultat) und Multiphonic-Trillern der Bassklarinette, die aufgrund der zylindrischen Bohrung des Instruments ebenfalls Dezimen ergaben, bestand.
Gleichzeitig bildeten die Resonanzklänge eine formale Klammer, die Anfang und Ende des Stückes umspannte und dabei die oben beschriebene Bewegung vom akusmatischen hin zum auf der Bühne produzierten Objektklang vollzog.
Einen ähnlichen Prozess unterliefen die Wasserkocherklänge, die zu Beginn des Stückes akusmatisch die feinen Nuancen des Rauschens herausstellten, worauf später der Wasserkocher als Bühnenobjekt in Erscheinung trat und die Komposition den ganzen Prozess des Wasseraufkochens, vom ersten Knistern und Knacken über die sich in immer tiefere Frequenzbereiche verlagernde Rauschphase hin zum eigentlichen blubbernd-sprudelnden Kochen nachvollzog.
Dieses komplexe Klangereignis hatte ich einer Spektralanalyse unterzogen und die Instrumentalklänge, die das Wasseraufkochen begleiteten, daraus abgeleitet. Das Blubbern des Wasserkochers mündete – wie oben beschrieben – ins Blubbern der Klarinette, die den musikalischen Hintergrund bildete zu einem zweiten, auskomponierten „Aufkochprozess“, für den die Saiten der Bratsche mit kleinen Wäscheklammern abgeklemmt wurden und so einen unterdrückten, kratzenden Klang hervorgaben, wogegen das Klavier mit einem Paukenschlägel auf immer tieferen Saiten gespielt wurde. Diese Klangmischung alternierte mit vordergründigen Samples kochenden Wassers, deren Körperlosigkeit umso bedrohlicher wurde, da ihr Ursprung nun erklärt war, und sie dennoch in unnatürlicher Lautstärker und Rhythmisierung in die Musik einbrachen.
Eine ganz andere klangliche Qualität besaßen dagegen die Samples berstender Eiswürfel, die eine große Faszination für mich hatten und für deren präzise Aufnahme ich eine lange Kette technischer Hindernisse überwinden musste. Das Mikrofon als hypersensibles Ohr registrierte die Klänge wie zerspringendes Glas, wobei jeder Eiswürfel eine eigene Brillanz und Färbung aufwies. Aus etwa 50 dieser extrem kurzen Klirr-Klänge komponierte ich die ersten 15 Sekunden des Stückes, das so einen explosionsartigen Anfang fand. Aufgrund der komplizierten technischen Handhabe der Eiswürfel, die sehr kalt gelagert werden mussten und nun wenige Sekunden an der Luft sein durften, bevor sie mit wechselnder Wahrscheinlichkeit im Wasser zerbrechen würden, war ihr Einsatz auf der Bühne nicht praktikabel. Allerdings fand ich mit dem Plektrum-Pizzicato an den hohen Saiten des Klaviers einen Instrumentalklang, der eine starke Beziehung zu ihnen aufwies und der in der Folge zum Signal eines sich beendenden Formabschnitts wurde.

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